Es ist der alltägliche Fall einer Prozesskanzlei: Die Vollstreckung aus Titeln. Hier kommt es häufig zu Verzögerungen durch eine lange Bearbeitungsdauer bei einem beauftragten Gerichtsvollzieher. Und auch nicht selten werden (auch höhere) Beträge nicht unverzüglich nach Geldeingang beim Gerichtsvollzieher von diesem ausgezahlt, wie auch möglicherweise der Gerichtsvollzieher die Vollstreckungsunterlagen mit dem Vermögensverzeichnis zurückgibt, danach z.B. vom Gläubiger (-Vertreter) ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss beantragt wird, aber zwischenzeitlich der ursprünglich von Gerichtsvollzieher einzutreibende Betrag bei diesem eingeht und dann nach Beantragung des Pfändungs. Und Überweisungsbeschlusses von dem eingehend bei dem Gläubiger (-Vertreter) gezahlt wird. Es stellt sich stets die Frage, ob die Erfüllung der Zahlungspflicht des Schuldners aus dem Titel bereits mit Eingang des Betrages bei dem Gerichtsvollzieher oder erst bei dem /Gläubiger-) Vertreter eintritt. Gerichtsvollzieher, die bei sich eingehende Beträge nicht umgehend weiterleiten, wollen wegen offener Zinsdifferenzen häufig nicht (weiter) vollstrecken mit der Begründung, durch Zahlung an sie sei erfüllt, wie auch Schuldner weitere bei dem Gläubiger entstehende Kosten für ergänzende Vollstreckungsmaßnahmen mit dem Hinweis der Erfüllung durch Zahlung eingehend bei dem Gerichtsvollzieher nicht leisten wollen.
In seinem Beschluss vom 29.01.2009 – III ZR 105/08 – hat der BGH darauf verwiesen, § 815 Abs. 3 ZPO sehe vor, dass die Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher als Zahlung des Schuldners gelte. Daraus würde überwiegend eine Gefahrtragung nach § 270 BGB entnommen mit der Folge, dass, komme dem Gerichtsvollzieher vor einer Auszahlung desselben an den Gläubiger abhanden, dieser den Schuldner insoweit nicht mehr in Anspruch nehmen könne (so z.B. BGH, Urteil vom 30.01.1987 – V ZR 220/85 -). In der Entscheidung vom 29.01.2009 konnte der BGH die Streitfrage offen lassen (a.A. z.B. BGH in BGHZ 140, 391, 394).
Das LG Memmingen nimmt Bezug auf den Beschluss des BGH vom 29.02.2009 und führt aus, dass die Erfüllungswirkung der Zahlung des Schuldners erst mit Geldeingang bei dem Gläubiger eintrete. § 815 Ans. 3 ZPO stelle sich lediglich als eine Gefahrtragungsregelung dar. In seiner Entscheidung verweist das LG Memmingen darauf, dass der historische Gesetzgeber den Gerichtsvollzieher als privatrechtlichen Vertreter des Gläubigers behandelt habe, demgegenüber er nach den heutigen Regelungen hoheitlich tätig würde und von daher nicht als Vertreter des Gläubigers angesehen werden könne. Auch sei zu beachten, dass der Gerichtsvollzieher beauftragt werde, da der Schuldner nicht zeitgerecht geleistet habe. Käme es zu systemimmanenten Verzögerungen der Weiterleitung der Zahlung durch den Gerichtsvollzieher an den Gläubiger, sei der dadurch bedingte Verzögerungsschaden nicht dem Gläubiger, sondern dem Schuldner anzulasten.
Es ist keine Seltenheit, dass der Gläubiger erfolgreich einen Titel gegen den Schuldner (oft mühsam) erstreitet, um dann in der Vollstreckung deshalb nicht weiterzukommen, da der (neue) Aufenthaltsort des Schuldners unbekannt ist. Vorliegend betrieb der Gläubiger die Zwangsvollstreckung aus einem Titel über € € 163,63 zzgl Zinsen und Kosten. Er beauftragte den Gerichtsvollzieher, den Schuldner zur Abnahme der Vermögensauskunft zu laden. Die Gerichtsvollzieherin teilte mit, der Schuldner sei unbekannt verzogen; dies habe eine Nachbarin glaubhaft bekundet, die angegeben habe, dass der Schuldner unter der Meldeanschrift seit längerer Zeit nicht mehr wohne. Der Gläubiger beantragte gemäß § 766 ZPO (Erinnerung gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung) die Gerichtsvollzieherin anzuweisen, die Zwangsvollstreckung fortzusetzen. Das Amtsgericht hat die Erinnerung zurückgewiesen; die dagegen eingelegte Beschwerde hatte Erfolg.
Das Landgericht als Beschwerdegericht führte aus, die Gerichtsvollzieherin hätte ohne weitere Ermittlung des Aufenthaltsortes die Zwangsvollstreckung nicht einstellen dürfen. Mit der Befragung einer Nachbarin und der Kontrolle der Klingelschilder habe er seiner Verpflichtung zur Ermittlung einer neuen Anschrift noch nicht genügt. Denn alleine durch Befragen der Nachbarin konnte sie nicht zweifelsfrei feststellen, dass der Schuldner tatsächlich „unbekannt“ verzogen sei, wobei nicht einmal ermittelt wurde, dass unter der bisherigen Anschrift ein neuer Mieter wohnen würde. Auch wenn von einem Gerichtsvollzieher nicht verlangt werden könne, dass er zeitaufwendig investigativ tätig wird, muss er doch offenkundigen Anhaltspunkten und mühelos feststellbaren Äußerlichkeiten nachgehen. Da der Gerichtsvollzieher aktuelle Schuldneranschriften über bestimmte Behörden ermitteln lassen darf, so sei erst recht berechtigt und verpflichtet, die offiziell gültige Meldeanschrift selbst zu überprüfen.
Das Landgericht verweist darauf, dass der Gläubiger anders als der Gerichtsvollzieher nicht über staatliche Autorität verfüge. Dritte sind dem Gläubiger nicht zur Auskunft verpflichtet. Es könne von daher nicht die Aufgabe des Gläubigers sein, Meldeanschriften zu überprüfen. Dazu gehört auch die Befragung des festzustellenden Vermieters. Die hier von der Gerichtsvollzieherin vertretene Ansicht, es handele sich nur um eine Bagatellforderung, greife nicht. Bei der pflichtgemäßen Wahrnehmung und Bemühung des Gerichtsvollziehers ginge es nicht um die Höhe der Forderung, sondern um die Ermöglichung der Zwangsvollstreckung als solcher. Die Ermittlung des Vermieters wäre durch Befragen der Hausbewohner leicht möglich gewesen. Es bestünde eine Vermutung, dass der Vermieter wegen der Abwicklung des Mietverhältnisses (Mietkaution, Abrechnung der Mietnebenkosten) die neue Anschrift des Schuldners habe.
Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des Amtsgerichts Stolzenau vom 1. Dezember 2015 wie folgt abgeändert:
Auf die Erinnerung des Gläubigers vom 29. Oktober 2015 wird Frau Gerichtsvollzieherin … angewiesen, die Zwangsvollstreckung wie im Auftrag vom 12. August 2015 erteilt unter Beachtung der Rechtsansicht des Gerichts und unter Anrechnung der bereits erhobenen und bezahlten Gerichtsvollzieherkosten fortzuführen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
I.
Der Gläubiger betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Uelzen vom 29. November 2012 (Az. 12-8575591-0-1) wegen einer Hauptforderung in Höhe von 163,63 € mit Zinsen und Kosten. Er beantragte unter dem 12. August 2015, den Schuldner zur Abnahme der Vermögensauskunft zu laden, wobei er darauf hinwies, dass der Schuldner ausweislich der im Vollstreckungsverfahren wiederholt eingeholten Einwohnermeldeamtsausfünfte vom 22. Januar 2013 bis 17. Juli 2015 durchgehend seit dem 24. Oktober 2012 unter der Anschrift „A.“ gemeldet sei. Zudem wies der Gläubiger daraufhin, dass es sich bei dem Objekt „A.“ um ein Mietshaus mit vier Parteien handele und keines der Namensschilder an der Anschrift auf den Namen des Schuldners lautet.
Im Rahmen ihrer Kostenrechnung teilte die Gerichtsvollzieherin mit, dass der Schuldner unbekannt verzogen sei. Dies habe die Nachbarin Frau W. glaubhaft bekundet, die angegeben habe, dass der Schuldner seit längerer Zeit nicht mehr unter der Meldeanschrift wohnhaft sei.
Mit Schriftsatz vom 29.Oktober 2015 (Bl. 1 ff. d. A.) legte der Gläubigerin Erinnerung nach § 766 ZPO ein und beantragte, die Gerichtsvollzieherin anzuweisen, die Zwangsvollstreckung fortzusetzen. Zur Begründung führte der Gläubiger u. a. aus, die Gerichtsvollzieherin habe ihren Pflichten zur Aufenthaltsermittlung des Schuldners nicht in vollem Umfang Rechnung getragen, insbesondere habe die Gerichtsvollzieherin durch Befragung des Vermieters oder Hauswirts ermitteln müssen, ob der Schuldner verzogen sei oder das Mietverhältnis noch andauere. Auf Grundlage ihrer Ermittlungen habe die Gerichtsvollzieher nicht zweifelsfrei feststellen können, dass der Schuldner unbekannt verzogen sei. So habe sie weder festgestellt, dass unter der aktuellen Anschrift des Schuldners nun ein neuer Mieter lebe, noch habe sie den Vermieter festgestellt und befragt. Der Vermieter sei gegenüber der Gerichtsvollzieherin auskunftspflichtig, nicht jedoch gegenüber dem Gläubiger.
Das Amtsgericht Stolzenau hat die Erinnerung mit Beschluss vom 11. Dezember 2015 (Bl. 7 d. A.) zurückgewiesen. In seiner Begründung stellt das Amtsgericht insbesondere darauf ab, dass die Gerichtsvollzieherin im Lichte des Bagatellcharakters der zu vollstreckenden Forderungen mit der Kontrolle der Klingelschilder und der Befragung der Nachbarin ausreichende Bemühungen entfaltet habe, um den Schuldner ausfindig zu machen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Gläubiger mit seiner sofortigen Beschwerde mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2015 (Bl. 11 ff. d. A.).
Das Amtsgericht Stolzenau hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 22. Dezember 2015 (Bl. 15 d. A.) nicht abgeholfen und die Akten der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die Gerichtsvollzieher durfte die Zwangsvollstreckung vorliegend mit der Begründung des unbekannten Aufenthalts des Schuldners nicht ohne weitere Ermittlungen einstellen. Mit der Befragung einer direkten Nachbarin und der Kontrolle der Klingelschilder hat die Gerichtsvollzieherin ihren Ermittlungspflichten noch nicht Genüge getan. Vielmehr hat sie durch Befragung des Vermieters oder des Hauswirts zu ermitteln, ob der Schuldner verzogen ist oder das Mietverhältnis andauert. Allein auf Grundlage der Angaben der Nachbarin konnte die Gerichtsvollzieherin nicht zweifelsfrei feststellen, dass der Schuldner unbekannt verzogen sei, denn sie hat nicht positiv ermittelt, dass unter der weiterhin aktuellen Schuldneranschrift ein neuer Mieter lebt (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 9. Juli 2015 - Az. 51 T 438/15; AG Bremen, Beschluss vom 11. Juni 2014, Az. 243 M 430663/14, zitiert jeweils nach juris).
Zwar kann einer Gerichtsvollzieherin angesichts des Zeitaufwandes nicht abverlangt werden investigativ tätig zu werden. Offenkundigen Anhaltspunkten und mühelos feststellbaren Äußerlichkeiten ist jedoch nachzugehen (a.a.O). Aufgrund der Einführung des § 755 ZPO n. F. besteht seit dem 1. Januar 2013 eine erweiterte Verpflichtung zur Aufenthaltsermittlung. Zwar formuliert § 755 ZPO Rechte des Gerichtsvollziehers, zugleich einhergehen hiermit aber entsprechende Pflichten zur pflichtgemäßen Ermessensausübung. Wenn der Gerichtsvollzieher nunmehr ermächtigt und verpflichtet sein kann, aktuelle Schuldneranschriften über bestimmte Behörden ermitteln zu lassen, so ist er erst recht berechtigt bzw. verpflichtet, die offiziell gültige Meldeadresse selbst zu überprüfen (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 9. Juli 2015, Az. 51 T 438/15, Rn. 6, zitiert nach juris).
Im Gegensatz zum Gerichtsvollzieher verfügt der Gläubiger über keine staatliche Autorität. Dritte sind dem Gläubiger nicht auskunftspflichtig. Daher kann es nicht Aufgabe des Gläubigers sein, die Meldeanschrift zu überprüfen (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 9. Juli 2015, Az. 51 T 438/15, Rn. 7; AG Bremen, Beschluss vom 11. Juni 2014, Az.: 243 M 430663/14, Rn. 10).
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts entfällt die Erforderlichkeit den Wohnungsvermieter des Schuldners über dessen Verbleib zu befragen nicht dadurch, dass es sich im vorliegenden Fall um die Beitreibung einer Bagatellforderung handelt. Bei der Frage der pflichtgemäßen Wahrnehmungen und Bemühungen der Gerichtsvollzieherin geht es nicht um die Höhe der beizutreibenden Forderung, sondern um die Ermöglichung der Durchführung der Zwangsvollstreckung an sich. Die Ermittlung des Vermieters wäre gerade im Gespräch mit der Nachbarin Frau We. ohne viel Aufwand zu ermitteln gewesen. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Vermieter wegen Abwicklung der Mietkautionsrückzahlung und der Mietnebenkosten Informationen über den Verbleibt des Schuldners hat.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 nicht vorliegen.