Verwaltungsrecht


 

 

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Zwei Widerspruchsverfahren nach Änderungsbescheid und Kostenerstattung für zwei Anwälte  bei Anwaltswechsel ?

VG Würzburg, Beschluss vom 30.03.2020 - W 2 M 19.12.54 -

Der Kläger des Ausgangsverfahrens legte gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss Erinnerung ein, da nicht außergerichtliche Kosten für zwei von ihm beauftragte Bevollmächtigte berücksichtigt worden seien. Er hatte gegen einen Bescheid auf Zahlung von € 39.563,83 Widerspruch eingelegt und wurde dabei durch RA W. vertreten. Nachdem der Widerspruch zurückgewiesen wurde, erhob der Kläger gegen den Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides Klage, wobei er nunmehr von RA  C. vertreten wurde. Es erging nunmehr ein Änderungsbescheid, demzufolge der Kläger € 40.182,01 zahlen sollte. Hiergegen legte der Kläger, vertreten durch RA C., Widerspruch ein. Im Verhandlungstermin vor dem VG wurde der Änderungsbescheid in das Verfahren einbezogen. Der Klage wurde stattgegeben und der Kläger machte nunmehr Kosten des Vorverfahrens sowohl gegen der ursprünglichen Bescheid als auch den Änderungsbescheid geltend. Diese Kosten wurden abgewiesen.

 

Die Erinnerung des Klägers war nach Auffassung des VG Würzburg unbegründet. Anders als vom Kläger angenommen, habe zu dem Änderungsbescheid kein Vorverfahren iSv. § 68 VwGO stattgefunden, vielmehr wurde der Änderungsbescheid in das streitige Verfahren einbezogen. Der Änderungsbescheid habe sich auf dieselbe Sachlage und identische Rechtsfragen bezogen wie der Ausgangsbescheid, gegen den ein Vorverfahren erfolglos stattgefunden hatte, weshalb ein neues / weiteres Vorverfahren nicht erforderlich sei.  Zu dem festsetzungsfähigen Kosten würden die Kosten des Vorverfahrens nur insoweit zählen, als sich an dieses das gerichtliche Verfahren angeschlossen habe. Diese Kosten seien in dem Kostenfestsetzungsbeschluss berücksichtigt worden.

 

Da zum Änderungsbescheid ein Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt wurde, könnten dafür auch nicht beantragte außergerichtliche Aufwendungen geltend gemacht werden. Die Einbeziehung in das Klageverfahren habe nur zur Erhöhung des Streitwertes geführt, nicht aber zu einem weiteren Widerspruchsverfahren, weshalb nur aus einem Vorverfahren heraus ein Erstattungsanspruch bestünde.  

 

 

Der Umstand, dass der Kläger während des Verfahrens (zwischen Widerspruchsverfahren und Klage), einen Anwaltswechsel vorgenommen habe, würde auch nicht zu einem weitergehenden Anspruch führen, auch wenn dies zu erhöhten Kosten des Klägers geführt haben sollte (dazu verhält sich die Entscheidung nicht). Denn die Entscheidung eines Beteiligten, den Anwalt zu wechseln, könne nicht auf Kosten des anderen Beteiligten erfolgen.


Corona: Schließung von (Laden-) Geschäften auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 IfSG

VG Bremen, Beschluss vom 26.03.2020 - 5 V 553/20 -

Das Verwaltungsgericht (VG) Bremen musste sich mit der Frage befassen, ob § 28 Abs. 1 S. 1 bzw. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) die Schließung von Geschäftslokalen rechtfertigt, insbesondere auch Geschäftslokalen, die neben dem Verkauf anderweitiger Erzeugnisse auch Lebensmittel im Sortiment haben. Es hat die allgemeine Zulässigkeit zur Schließung von Geschäftslokalen (was mithin z.B. die Bereiche Fitnessstudios, Fahrradzubehör u.a. erfasst, wie auch die spezielle Zulässigkeit zur Schließung von Ladengeschäften mit gemischtem Sortiment, zu dem u.a. Lebensmittel zählen, bejaht.

 

Die Antragstellerin betreibt Einzelhandelsgeschäfte, in denen sie Lebensmittel und Getränke, Tiefkühlware, Fahrräder, Porzellan, Glaswaren,  Auto- und Fahrradzubehör, Textilien, Tierbedarf, Elektroartikel, Schuhe, Drogerieartikel, Werkzeuge, Taschen und Koffer, Haushaltswaren, Spielwaren, Bettwäsche, Matratzen, Teppiche, Gartenartikel, Schreibwaren, Tabakwaren, Pflanzen, Bücher, Zeitschriften, Camping- und Outdoorartikel, Deko- und Geschenkartikel sowie Saisonware vertreibt. In einer Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin wurde „zur Eindämmung des Corornavirus“ unter Ziffer 1 Buchstabe d die Öffnung von Einrichtungen zum Publikumsverkehr u.a. für „an anderer Stelle dieser Allgemeinverfügung genannten Verkaufsstellen des Einzelhandels, insbesondere Einkaufszentren (mit Ausnahme der in Ziffer 1 Buchstabe f genenannten Einrichtungen)“ angeordnet. In Ziffer 1 Buchstabe f wurden ausgenommen „der Einzelhandel für Lebensmittel, Wochenmärkte, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Kioske, Banken und Sparkassen, Poststellen, Reinigungen, Waschsalons, der Zeitungsverkauf, Bau- und Gartenabau- und Tierbedarfsmärkte und der Großhandel.

 

Am 23.03.2020 forderte das Ordnungsamt die Antragstellerin (mündlich) zur Schließung für den Publikumsverkehr auf. Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch. Mit weiterer Allgemeinverfügung vom 24.03.2020 hob die Antragstellerin die Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 mit Ausnahme von Ziffer 1 Buchstaben d und f auf. Gegen diese Allgemeinverfügung erhob die Antragstellerin Widerspruch. In Ihrem bereits am 23.03.2020 erhobenen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs verwies sie darauf, dass 47,09% ihres Umsatzes auf die Artikel aus den Bereichen Lebensmittel, Getränke, Drogeriewaren, Garten- und Tierbedarf und Baumarktartikel entfalle (zuzüglich Werkzeuge).

 

Soweit sich die Antragstellerin gegen die mündliche Aufforderung wandte, das Ladengeschäft für Publikumsverehr zu öffnen, sei dieser unzulässig. Es handele sich dabei nicht um eine Verfügung, sondern nur um eine Mitteilung zur Rechtslage. Im Übrigen sei der Antrag gegen die Allgemeinverfügung vom 24.03.2020 zulässig; der Widerspruch habe nach § 28 Abs. 3 iVm. § 16 Abs. 8 IfSG keine aufschiebende Wirkung.

 

Bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden summarischen Prüfung sei davon auszugehen, dass der Widerspruch erfolglos bliebe, § 112 Abs. 1 S. 1 VwGO. Deshalb könne unter Würdigung der gesetzgeberischen Wertung und der Interessen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheit sowie der bedeutenden Rechtsgüter, deren Schutz die Allgemeinverfügung gelte, die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet werden.

 

Formal bestünden gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung keine Bedenken, da sich die Antragsgegnerin auf § 28 Abs. 1 S. 1 bzw. 2 IfSG beziehen könne. Danach würde es der Behörde obliegen, Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu treffen. Sie könne nach § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG bei Vorliegen der Voraussetzungen nach S. 1 Veranstaltungen und Ansammlungen beschränken und Badeanstalten sowie in § 33 IfSG schließen, als eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit anordnen  (Orte nicht zu verlassen oder z betreten), bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden seien. Für Art und Umfang sei der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Eingeschränkt würde das Ermessen nur dadurch, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln dürfe, die zur Verhinderung einer (Weiter-) Verbreitung der Krankheit notwendig seien.

 

Offen ließ das VG, ob es das Öffnungsverbot von § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG (Ansammlungen) erfasst werde, oder ob es sich auf die Generalklausel in S. 1 stützen könne. In beidem Fällen sei die Behörde zum Handeln verpflichtet. Die in S. 1 normierte Generalklausel scheide nicht deshalb aus, da die Allgemeinverfügung in die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) eingreife. Das BVerfG (Beschluss vom 04.05.1997 - 2 BvR 509/96 -) habe zwar Grenzen gesetzt, eingriffsrechtliche Generalklauseln als Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen. Allerdings müsse angesichts der unvorhersehbaren Vielgestaltigkeit von Lebenserscheinungen gefahrenabwehrrechtliche Generalklauseln dennoch im Grundsatz Geltung als ein die Berufsausübung regelndes Gesetz beanspruchen können, auch wenn weit gespannte Generalklauseln nicht schlechthin als stets ausreichende Grundlage des Eingriffs der Exekutive in die Berufsausübung herangezogen werden könnten (BVerwG, Beschluss vom 24.10.2001 - 6 C 3/01 -). Die Regelungsmaterie „Gefahrenabwehr“ erfordere eine flexible Handhabung des ordnungsbehördlichen Handelns. Sprachlich offen gelassene Ermächtigungen seien daher verfassungskonform auszulegen. Lägen neue und in dieser Form vom Gesetzgeber nicht bedachte Bedrohungslagen vor, sei daher jedenfalls für eine Übergangszeit der Rückgriff auf die Generalklausel auch dann hinzunehmen, wenn es zu einem wesentlichen Grundrechtseingriff käme (BVerwG, Urteil vom 25.07.2007 - 6 C 39/06 -). Da es in Deutschland unter der Geltung des Grundgesetzes, soweit ersichtlich, Infektionslagen wie derzeit nicht gegeben habe, seien die Voraussetzungen gegeben, unter denen das Vorliegen einer speziellen gesetzlichen Regelung zwingend gewesen. Allerdings verweist das VG auch darauf, dass die Gesetzesbegründung darauf schließen lasse, hier für jedwede Bedrohungsart bei Ausbruch durch Krankheiten durch die Generalklausel eine Eingriffsgrundlage zu schaffen (BT-Drs. 8/2468, S. 27: „Man muß eine generelle Ermächtigung in das Gesetz aufnehmen, will man für alle Fälle gewappnet sein.“

 

Die entsprechenden Voraussetzungen für die Allgemeinverfügung hätten vorgelegen (wird näher ausgeführt). Das allgemeine Verbot der Öffnung von Einzelhandelsbetrieben als notwendige Schutzmaßnahme habe vorgelegen. Da weder eine Therapie noch eine Impfung zur Verfügung stünden, müssten alle Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, eine Verbreitung zu verlangsamen, wozu kontaktreduzierende Maßnahmen gehören würden. Das weitreichende Verbot der Öffnung von Einzelhandelsgeschäften sei geeignet, die Verbreitungsgeschwindigkeit einzudämmen, da die Bevölkerung dazu bewegt würde, vermehrt zu Hause zu bleiben.  

 

Für die Antragstellerin greife auch keine Ausnahme vom Öffnungsverbot. Nur ca. 25% ihres Sortiments gemäß einer Warenaufstellung würden auf Lebensmittel entfallen. Die Ausnahme Lebensmittel hätte verlangt, dass zumindest der überwiegende Teil Lebensmittel wären .Der Umstand, dass zudem auch Drogerieprodukte pp, vertrieben würden, würde keiner der Kategorien von Einzelhandelsunternehmen im Sinne der Allgemeinverfügung eindeutig zuortenbar sein.

 

Es könne dahinstehen, ob die Antragstellerin Nichtstörerin oder aber unter dem Gesichtspunkt der Veranlassung einer möglichen Ansammlung von Personen in ihrem Ladengeschäft selbst als Störerin angesehen werden könne. Sie sei richtigerweise als Adressatin des Verbots ausgewählt worden, da nur durch Schließung der fraglichen Geschäfte das verfolgte Ziel einer Gefahrenabwehr effektiv erreicht werden könne. Ein Vorgehen gegen einzelne Kunden wäre nicht sachdienlich und auch nicht gleich effektiv.

 

Anmerkung: Auch wenn wohl die Entscheidung rational vernünftig sein mag, ist sie jedoch nicht rechtlich nachvollziehbar.

 

Zutreffend erkennt zwar das VG, dass ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) vorläge, meint aber, dass die Generalklausel dies  -  jedenfalls übergangsweise -  auffangen könne. Einen nur vorrübergehenden, nicht gesetzlich legitimierten Eingriff in ein Grundrecht kennt aber weder das Grundgesetz noch das Gesetz. Unabhängig davon stellt sich auch die Frage, welcher Zeitraum mit „vorübergehend“ gemeint sein soll. Immerhin hat es doch die Legislative sogar in der Coronakrise fertig gebracht, Gesetze innerhalb von zwei Tagen durch Bundestag und Bundesrat beschließen zu lassen. Wäre es also nicht ohne weiteres möglich gewesen, hier in § 28 IfSG eine entsprechende zusätzliche Regelung aufzunehmen, die den Eingriff in die Berufsausübung qua Schließung von Gewerbebetrieben betrifft ?  Sicherlich wäre dies möglich gewesen. Zudem verkennt das VG, und wir deshalb wohl auch nicht angesprochen, dass Art. 19 Abs. 1 GG bestimmt, dass die Grundrechtsnorm benannt werden muss, in die durch das Gesetz eingegriffen werden soll.   In § 28 Abs. 1 S. 3 IfSG werden aber als Eingriffe in Grundrechte nur die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) benannt.  Die Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, die hier gegenständlich ist, wurde nicht benannt. Damit lässt sich keinesfalls aus § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG, wie das VG meint, ableiten, dass alle Maßnahmen der Gefahrenabwehr möglich seien, jedenfalls durch einen gesetzgeberischen Willen getragen seien und/oder auf Zeit möglich seien. Da zwingend bei einem Eingriff in ein Grundrecht in dem Gesetz, in dem in das Grundrecht eingegriffen wird, darauf zu verweisen ist, lässt sich mithin die Allgemeinverfügung aus den Erwägungen des VG heraus nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht halten.

 

Richtig sind vom Ansatz die Erwägungen, gegen Kunden im Hinblick auf „Ansammlungen“ vorzugehen. Dass aber würde voraussetzen, dass es sich bei dem Einkauf in einem entsprechenden Laden um eine Ansammlung handelt. Ob ein Vorgehen gegen Kunden (evtl. in diesen Fällen auch gegen den Betriebsinhaber wegen Beihilfe oder Mittäterschaft) effektiv ist, mag auf sich beruhen. Denn das Gesetz darf im Rahmen seiner an der Verfassung vorzunehmenden Auslegung nicht über die grundrechtlichen Einschränkungen hinausgehen, die es selbst benennt.

 

 

Für die betroffenen Betreiber von geschlossenen Läden stellt sich die Frage nach einer Entschädigung. Grundlage wäre hier § 65 IfSG. 


Die Corona-Allgemeinverfügung und der einstweilige Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO

Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 22.03.2020 - 1 B 17/20 -

Man kann schon häufig Zweifel haben, ob die von den Ländern erlassenen Rechtsverordnungen bzw. Allgemeinverfügungen der Gemeinden und Landkreise zur Bekämpfung der Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) zu deren einzelnen Regelungen eine Rechtsgrundlage haben. Vorliegend hatten sich die Antragsteller gegen eine Allgemeinverfügung des Antragsgegners gewandt, mit der die Antragsteller (die Antragstellerin litt an einer Lungenerkrankung) zum Verlassen ihrer Nebenwohnung aufgefordert wurden. Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gem. § 80 Abs. 5 VwGO wurde abgewiesen.

 

Das OVG ging davon aus, dass im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung sich nicht feststellen ließe, ob die einen Verwaltungsakt darstellende Allgemeinverfügung offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig sei. Damit sei eine weitere Interessensabwägung erforderlich, bei der auf der einen Seite die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse  für den Fall einer Stattgabe des Antrages, auf der anderen Seite die Auswirkungen für den Betroffenen für den Fall der Ablehnung des Antrages und eines erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüber zu stellen seien. Im Rahmen dieser Abwägung sei das jeweilige Vorbringen der Parteien als wahr zu unterstellen, soweit es substantiiert sei und nicht ohne weiteres erkennbar unwahr (OLG Schleswig, Beschluss vom 13.09.1991 - 4 M 125/91 -). .

 

Rechtsgrundlage der Allgemeinverfügung könnte § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG sein, nach der die zuständige Behörde bei ansteckendem Krankheiten die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen habe, um eine Verbreitung zu verhindern. Die Art des Eingriffs läge im Ermessen der Behörde, was damit zu begründen sei, da dies im Vorfeld nicht festgelegt werden könne. Beschränkt würde das Ermessen durch die Notwendigkeit der Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Je größer und folgenschwerer möglicherweise eintretende Schäden seien, umso geringer seien die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit von deren Eintreten, wofür das Ziel des Gesetzes zur effektiven Gefahrenabwehr spräche (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG; vgl auch VG Bayreuth, Beschluss vom 11.03.2020 - B 7 S 20.223 -).

 

Zulässig sei es auch, Schutzmaßnahmen nicht nur gegen Kranke pp. getroffen werden, sondern erforderlichenfalls auch gegen Dritte. Da es sich bei CIVUD-19 um eine übertragbare Krankheit handele, sei Abschnitt 5 des Gesetzes eröffnet, und es spräche vieles dafür, soweit notwendig auch zum Verlassen des Ortes der Nebenwohnung zur Sicherstellung der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung  mit erforderlich werdenden Notfallbehandlungen und zur Eingrenzung der Verbreitung zu zwingen. Eine abschließende Prüfung sei der Kammer „in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit“ nicht möglich. Es sei bekannt, dass derzeit und auf absehbare Zeit nicht genügend Intensivbetten und Pflegepersonal zur Verfügung stünden und die Sicherung der Leistungskapazität davon abhänge, dass sich nicht noch weitere auswärtig ansässige Personen (wobei es sich hier um eine Gemeinde mit vielen Ferienwohnungen handele) im Gebiet des Antragsgegners aufhielten.

 

Anmerkung dazu: Bedenklich ist, auf die Schwere der möglichen Einwirkung abzustellen, um damit die Wahrscheinlichkeit des Eintritts vernachlässigen zu können, und so einen Eingriff in ein Grundrecht (Freizügigkeit, Art. 11 Abs. 1 GG) zu rechtfertigen. Das Leben gilt als ein besonders schützenswertes Rechtsgut. Doch würde es das Leben evtl. einer Person rechtfertigen können, die Freizügigkeit aller Bewohner Deutschlands einzuschränken ?  Abzustellen wäre auf eine Abwägung der jeweiligen betroffen Rechtsgüter / Grundrechte. Unter dieser Prämisse wäre gegen die Aussage nichts einzuwenden.

 

 

Bei dem Interesse der Antragsteller stellte die Kammer darauf ab, dass diesen noch eine Hauptwohnung zur Verfügung stünde. Sollten sich hier Komplikationen ergeben, müssten sich die Antragsteller an die zuständigen Behörden des Hauptwohnsitzes wenden. Individuelle Gründe, die hier einen Verweis auf die Hauptwohnung unzumutbar machen würden, sah die Kammer nicht. Dies sei z.B. dann der Fall, wenn die Rückreise zur Hauptwohnung selbst eine schwerwiegende gesundheitliche Gefahr darstelle oder aber diese Gefahr sich durch die Ankunft und den weiteren Verbleib in der Hauptwohnung ergäbe. Die Lungenerkrankung der Antragstellerin stelle keine außergewöhnliche Härte dar, die hier einen Aufschub vor dem geschilderten öffentlichen Interesse gebieten könne. Zwar sei verständlich, wenn die Antragsteller die lungenkranke Antragstellerin vor jeder Risikoerhöhung schützen wollen, doch würden sie sich in A-Stadt in einer Lage befinden, in der sich viele Familien mit nur einem Haushalt befänden. Auch dort müsste bei entsprechenden Vorerkrankungen dem Risiko mir bekannten Vorsorgemaßnahmen (Abstandhalten, Reinigung der Hände) begegnet werden. In der Wohnung selbst wären die Antragsteller keinem erhöhten Risiko ausgesetzt.

 

Anmerkung dazu: Die Abwägung der Kammer basiert auf dem zugunsten des öffentlichen Interesses angenommenen Ermessen der Behörde, bei dem die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Infektion zurücktreten entsprechend der Größe und Folgenschwere eines möglicherweise eintretenden Schadens. Es verwundert, dass dieser Grundsatz augenscheinlich nicht bei dem entgegenstehenden Interesse jedenfalls der Antragstellerin berücksichtigt wurde, die Lungenkrank ist und von daher zu einer besonderen Risikogruppe gehört, die gerade zu schützen wäre. Dabei mag es wohl sein, dass die Hauptwohnung ebenso sicher oder unsicher ist wie die Nebenwohnung; aber die Reise von der Nebenwohnung zur Hauptwohnung stellt sich als besonderer Gefahrenmoment dar, der hier von der Kammer nicht berücksichtigt wurde. Es handelt sich diesbezüglich nicht um einen Umstand, der jeden Haushalt betrifft, in dem eine Person wohnt, die zur Risikogruppe gehört. 


Wohnraumzweckentfremdung: Wann liegt  „Wohnen“ und wann „Fremdbeherbung“ vor ?

OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.04.2019 - OVG 5 S 24.18 -

In diesem Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz (§ 80 Abs. 5 VwGO) ging ist um die Frage, wann  noch eine Wohnnutzung vorliegt und wann von einer Zweckentremdung auszugehen ist. Während die Verwaltung von Berlin und auch das VG Berlin eine Zweckentfremdung angenommen hatten, sah dies das OVG Berlin-Brandenburg anders.

 

Die Antragstellerin (AS) war Mieterin einer 3-Zimmer-Wohnung in Berlin. Mit einem Vertrag vom 23.05.2017 untervermietete sie ihre möblierte Wohnung vom 31.07.2017 bis 31.07.2918 (verlängert mit Vertrag vom 28.06.2018 um ein Jahr) an die FSP, die diese Wohnung zur Unterbringung von von ihr für ihre Veranstaltungen engagierten Artistinnen für die Dauer deren Engagements. In den Arbeitsverträgen war u.a. unter „Vergütung“ geregelt, dass die GSP ihnen für die Dauer von deren Engagement eine 2-Zimmer-Wohnung nach Auswahl durch FSP und auf deren Kosten zur Verfügung stelle.  Mit dem für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Bezirksamtes Mitte forderte dieses von der AS, die Wohnung wieder Wohnzwecken zuzuführen, da es den Tatbestand der Zweckentfremdung als gegeben ansah.

 

In Berlin darf Wohnraum nur mit Genehmigung des zuständigen Bezirksamtes zu anderen als Wohnzwecken genutzt werden (§ 1 ZwVbG iVm § 1 Abs. 1 S. 1 ZwVbVO). Eine Zweckentfremdung liegt nach Ansicht des OVG vor, wenn Wohnraum zum Zweck der widerholten nach Tagen oder Wochen bemessenen Vermietung als Ferienwohnung oder Fremdbeherbung, insbesondere einer Zimmervermietung oder Einrichtung von Schlafstellen, verwendet würde (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ZwVbG). Anders als noch das VG nahm allerdings das OVG an, dass hier die Räume nicht zum Zweck einer Fremdbeherbung, sondern zu Wohnzwecken genutzt würden.

 

Ohne dass es auf subjektive Vorstellungen oder Bedürfnisse der Benutzer ankäme, sei Wohnen die Gesamtheit der mit der Führung des häuslichen Lebens und des Haushalts verbundenen Tätigkeiten. Der objektive Begriff fordere ein Mindestmaß an Abgeschlossenheit der räumlichen Verhältnisse zur eigenständigen Gestaltung des häuslichen Lebens unter Einschluss einer gewissen Rückzugsmöglichkeit. Es müsse mindestens ein Raum dem oder den Wohnungsinhaber(n) während des gesamten Tages zur privaten Verfügung stehen und die Möglichkeit bieten, darin den Tätigkeiten und Nutzungsweisen nachzugehen, die zum Begriff des Wohnens gehören. Es müsse den Bewohnern die Möglichkeit gegeben werden, sich von der Außenwelt in einen Privatbereich zurückzuziehen (OVG Berlin, Urteil vom 26.07.1990 - OVG 5 B 64.89 -).

 

Eine Fremdbeherbung läge vor, wenn Räume ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt würden, ohne dass diese dort ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten könnten. Es würde dort idR. an einer Kochmöglichkeit ermangeln und sie würden sich häufig mangels genügender Sitz- und Essmöglichkeiten eher nicht für längere Aufenthalte eignen. Ggf. würde auch Nebenleistungen (wie Frühstück) angeboten.

 

Daran gemessen sei hier in Bezug auf die jeweiligen Bewohnerinnen (jeweils zwei) von einer Wohnnutzung auszugehen. Sie hätten jeweils ein eigenes Schlafzimmer, was hinreichend Rückzugsmöglichkeit biete; es stünden ein Wohnraum, Küche Bad und Flur zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung. Die Räume seien auch nicht derart unzureichend ausgestattet, dass dort ein längerer Aufenthalt (auch tagsüber) nicht möglich sei.  Die gemeinsame Nutzung eines Wohnraums, Küche, Bad und Flur würde dem „Wohnen“ nicht entgegenstehen; vielmehr sei die Wohngemeinschaft als Zusammenleben einer Gruppe von Personen, die eine Wohnung gemeinsam bewohnen, ohne miteinander verwandt zu sein, nicht ungewöhnlich und erfülle zweifelslos den Begriff des Wohnens, wobei jede der zwei Bewohnerinnen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten könne.

 

Zwar vergäbe die Antragstellerin die Räume nur zur vorübergehenden Nutzung. Jedoch überschreite die Dauer des Aufenthalts der jeweils untergebrachten Künstlerinnen das Maß der „ständig wechselnden Gäste“, wie es für Fremdenbeherbungen üblich sei. Auch wenn sich „Wohnen“ und „Fremdenbeherbung“ nicht über das Zeitmaß abgrenzen ließe, stelle es doch ein Indiz dar und es sei auch ersichtlich, dass die Künstlerinnen für die Dauer ihres längerfristigen Engagements bei der FSP ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegt hätten.

 

Der vom VG als streitentscheidend angesehene Gesichtspunkt, dass es an einem Vertrag zwischen der FSP und den Nutzerinnen fehle, der ihnen ein Nutzungsrecht an dem Wohnraum als Grundlage einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit einräume, könne ein Abgrenzungskriterium nicht darstellen, da die Nutzung hier gerade nur für eine begrenzte Zeit und nicht auf Dauer angelegt war, was allerdings an der vorliegenden Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts ändere. Auch sei der Begriff des Wohnens nicht an eine Rechtsform gebunden, so insbesondere auch nicht an einem Wohnraummietvertrag. Die hier getroffene Vereinbarung zwischen den FSP und den Nutzerinnen genüge, im letzteren die Führung eines eigenständigen Haushalts zu ermöglichen. Auch wenn nach dem Vertrag die FSP gegenüber den Künstlerinnen ein Zuweisungsrecht habe, diese also den Künstlerinnen also im Bedarfsfall auch eine andere Wohnung zuweisen könnte, stünde dieser von der FSP benötigten Flexibilität bei der Zuweisung von Wohnung und Mitbewohner (z.B. für den Fall einer vorzeitigen Beendigung des Engagement-Vertrages) jedenfalls nicht der Annahme entgegen, die Künstlerinnen würden in den fraglichen Räumen wohnen. Dagegenspräche auch nicht die Möblierung, die es den Künstlerinnen vereinfache, in Berlin zu wohnen und ein später ohne großen Umzug ein Engagement in einem anderen Ort anzunehmen.

 

 

Zwar sei vorliegend auch von einer erheblichen Gewinnspanne für die Antragstellerin (auch unter Berücksichtigung der Möblierung durch die Antragstellerin) auszugehen (eigene Miete € 9,00qm, Untermiete € 30,00/qm, jeweils brutto). Dies sei zwar sicherlich auch ein (weiteres) Indiz für die Abgrenzung von Wohnen zur Fremdbeherbung. Lägen aber, wie hier, alle Voraussetzungen für ein Wohnnutzung vor, käme es darauf nicht mehr an. Auch wenn nach dem Konzept der AS (möbliertes Apartment, Verbot der Untervermietung, erhebliche Gewinnspanne, Vereinbarung über die Übernachtungssteuer) vieles für den Zweck der Fremdbeherbung spräche, käme es darauf nach dem Gesetzeszweck nicht an, der eine Nutzung von Wohnraum zu anderen als Wohnzwecken verhindern wolle. Lägen wie hier die Kriterien für die Wohnnutzung vor, käme es auf das Konzept des Vermieters nicht an.