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Rechtskraft


Neue Klage nach Rückabtretung und Rechtskraftwirkung des Urteils aus Vorprozess

BGH, Urteil vom 07.08.2024 – VIa ZR 930/23 -

Der Kläger hatte seine Ansprüche gegen die Beklagte treuhänderisch an eine f-GmbH (einen Inkassodienstleister) zur außer- und gerichtlichen Geltendmachung abgetreten. Diese machte die Ansprüche des Klägers im Rahmen einer Sammelklage zusammen mit Ansprüchen Dritter gerichtlich geltend. Ihre Klage wurde (wegen fehlender Aktivlegitimation) abgewiesen; eine dagegen eingelegte Berufung nahm sie zurück. Nunmehr klagte der Kläger, nach Rückabtretung seiner Ansprüche, selbst. Das Landgericht wies seine Klage ab; auf seine Berufung hin gab das OLG ihr statt. Auf die vom OLG zugelassene, von der Beklagten eingelegte Revision wurde das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das OLG zurückverwiesen.

 

Der auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung sei unzulässig (Antrag 1). Insoweit würde dem die materielle Rechtskraft des Urteils im Verfahren der f-GmbH entgegenstehen, §§ 322 Abs. 1, 325 Abs. 1 ZPO.

 

Die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung stünde (als negative Prozessvoraussetzung) einer neuen Verhandlung und Entscheidung über denselben Streitgegenstand entgegen (ne bis in idem), weshalb die diesen Streitgegenstand beinhaltende Klage unzulässig sei (BGH, Urteil vom 18.01.1985 - V ZR 233/93 -). Dieses Prozesshindernis sei in jeder Lage des Verfahrens zu beachten (BGH, Urteil vom 23.02.2006 - I ZR 272/02 -).

 

Wird die Beklagte wie vorliegend zunächst aus abgetretenen Recht in Anspruch genommen und sodann nach Rückabtretung (wie hier) des Anspruchs vom ursprünglichen Zedenten mit identischer rechtlicher Begründung erneut verklagt, beträfen beide Klagen denselben Streitgegenstand (BGH, Urteil vom 16.10.2020 – V ZR 98/19 -). Bestimmt würde der von der Rechtskraft umfasste Streitgegenstand vom Klageantrag, in dem sich die vom Kläger für sich in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiere, und dem Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die Rechtsfolge herleite (BGH, Urteil vom 19.12.1991 - IX ZR 96/91 -). Alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassten Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören würden zum Anspruchsgrund zählen, den der Kläger zur Stützung seines Begehrens dem Gericht vortrage (BGH, Urteil vom 25.10.2012 - IX ZR 207/11 -). Das gelte auch unabhängig davon, ob diese einzelnen Tatsachen des Lebenssachverhaltes von den Parteien vorgetragen worden wären oder nicht, ferner unabhängig davon, ob die Parteien im Vorprozess die nicht vorgetragenen Tatsachen bereits kannten und hätten vortragen können (BGH, Urteil vom 23.06.2015 - II ZR 166/14 -).

 

Zwischenanmerkung: Eine andere Sichtweise würde dazu führen, dass ein beendeter Prozess stellt neu aufgerollt werden könnte, wenn er auf neue Tatsachen gestützt würde, die bereits beim Vorprozess mit zum Tatsachenkomplex gehören. Eine Ausnahme davon sieht das Gesetz nur in § 580 ZPO zur Restitutionsklage vor, die z.B. erfordert, dass das Urteil auf einer gefälschten Urkunde beruht oder auf einer beeidigten Aussage des Gegner, die vorsätzlich oder fahrlässig falsch war.

 

Danach würde der Antrag 1 denselben Streitgegenstand betreffen, der von dem Inkassodienstleister bereits im Vorprozess aus abgetretenen Recht geltend gemacht worden sei und sich der Kläger zur Stützung seines Antrages auf denselben Lebenssachverhalt mit gleichem Klageziel stütze (BGH, Urteil vom 16.10.2020 - V ZR 98/19 -).

 

Urteile seien nur insoweit der Rechtskraft fähig, als über den durch Klage oder Widerklage geltend gemachten Anspruch entschieden worden sei. Die Rechtskraft beschränke sich mithin auf den unmittelbaren Streitgegenstand, also die Rechtsfolge, die aufgrund eines bestimmten Lebenssachverhalts am Schluss der mündlichen Verhandlung den Gegenstand der Entscheidung bilde (BGH, Urteil vom 17.02.1983 - III ZR 184/81 -). Nicht erfasst würden einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die Entscheidung aufbaue (BGH, Urteil vom 26.06.2003 - I ZR 269/00 -). Feststellungen von präjudiziellen Rechtsverhältnissen oder sonstigen Vorfragen nähmen als bloße Urteilselemente damit nicht an der Rechtskraft teil.

 

Der Inhalt des Urteils und damit der Umfang der Rechtskraft seien der Entscheidung im Ganzen zu entnehmen. Auszugehen sei dabei von der Urteilsformel, die allerdings bei einer Klageabweisung regelmäßig nicht erkennen lasse, worüber entschieden worden sei. Reiche die Urteilsformel nicht aus, um den Rechtkraftgehalt festzustellen, seien Tatbestand und Entscheidungsgründe, ggf. auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen (BGH, Urteil vom 17.02. 1983 - III ZR184/81 -). Mit einem Urteil auf Abweisung einer Leistungsklage würde grundsätzlich festgestellt dass die begehrte Rechtsfolge unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt hergeleitet werden könne, selbst dann, wenn nicht alle erheblichen Tatsachen und in Betracht kommenden Rechtsnomen vorgetragen und geprüft worden seien (BGH, Urteil vom 12.12.2008 - V ZR 49/08 -). Anderes gelte nur dann, wenn den Entscheidungsgründen unmissverständlich der Wille des Gerichts zu entnehmen sei, über den zu Grunde liegenden Sachverhalt abschließend zu entscheiden und so dem Kläger eine erneute Klage zu diesem Anspruch auf der gleichen tatsächlichen Grundlage und aufgrund bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegenden Umständen zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 17.09.2011 - II ZR 221/09 -).

 

Das Landgericht habe hier im Vorprozess einen Anspruch uneingeschränkt verneint. Hierauf beschränke sich die Rechtskraft. Bei den getroffenen Feststellungen zur fehlenden Aktivlegitimation des Inkassodienstleisters (so wegen Unwirksamkeit der Abtretung wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz gem. § 134 BGB iVm. §§ 3, 4 RDG) handele es sich lediglich um Vorfragen, aus denen das Gericht den Schluss auf das Nichtbestehen des Zahlungsanspruchs gezogen habe. Sie würden als bloße Urteileelemente nicht von der Rechtskraft des Urteils erfasst, auch wenn das Gericht eine  Beschränkung der mündlichen Verhandlung auf die Frage der Aktivlegitimation  und angeordnet und nur hierüber in der mündlichen Verhandlung verhandelt habe. Dies deshalb, da sich in dem auf die mündliche Verhandlung ergangenen Urteil weder im Urteil noch in den Gründen eine entsprechende Beschränkung der Klageabweisung (auch nicht durch Auslegung) als derzeit unbegründet entnehmen ließe und es nicht ausreiche, dass die Klage ausschließlich mit der Begründung der fehlenden Aktivlegitimation abgewiesen worden sei.

 

Die Rechtskrafterstreckung wirke nach § 325 Abs. 1 ZPO für und gegen den Kläger, da er nach Rechtshängigkeit der Klage im Vorprozess infolge der Rückabtretung der Ansprüche Rechtsnachfolger des Inkassodienstleisters geworden sei. Der (hier auch erkennende) Senat des OLG habe nach Erlass des Urteils des Landgerichts im Vorprozess entschieden, dass die Abtretung der Ansprüche der Kunden an den Inkassodienstleister weder nach § 3 RDG iVm. § 134 BGB nach der bis 30.09.3021 geltenden Fassung von § 4 RDG (jetzt § 41 Abs. 1 RDG) iVm. § 134 BGB nichtig gewesen seien da die Tätigkeit von der dem Inkassodienstleister erteilten Erlaubnis von Rechtsdienstleistungen gedeckt waren. Die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess ergäbe nichts anderes, da die Feststellung zur fehlenden Aktivlegitimation des Inkassodienstleisters als bloßes Urteilselement nach § 322 Abs. 1 ZPO nicht an der Rechtskraft teilnehme (s.o.).

 

Aufgrund er Bindungswirkung desrechtskräftigen Urteils aus dem Vorprozess stünden auch die weiteren Anträge (Feststellung Annahmeverzug, vorgerichtliche Anwaltskosten) dieser entgegen, ebenso eventuelle Restschadensersatzansprüche des Klägers aus §§ 862, 852 S. 1 BGB oder §§ 823 Abs. 2, 852 BGB iVm. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV -).

 

Eine Rückverweisung sah der BGH als geboten an, da die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei der Anwendung des Gesetzes erfolgt sei und danach die Sache zur Endentscheidung reif sei (§ 563 Abs. 3 ZPO).

 

Schlussbemerkung: Der BGH hat sich vorliegend ausführlich mit der Frage der Rechtskrafterstreckung unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtsprechung auseinander gesetzt. Dabei lag die Besonderheit in der hier vorliegenden Abtretung und der rechtskräftigen Abweisung der Klage des Zessionars, der sich die Ansprüche wieder rückabtreten ließ, um sie selbst noch einmal geltend zu machen. Die Reaktion des Zessionars war verständlich, hatte doch das Landgericht im Vorprozess die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen. Die fehlende Aktivlegitimation nahm das Landgericht wegen Unzulässigkeit (Nichtigkeit, § 134 BGB) der Abtretung an. Würde man die Nichtigkeit der Abtretung annehmen, wäre der Anspruch nie wirksam vom Kläger an den Inkassodienstleister abgetreten worden und der Kläger wäre noch originär Inhaber des eventuellen Anspruchs; die Rechtskraft des Vorprozesses würde ihn dann nicht berühren, da die Klage von einem Nichtberechtigten erhoben worden wäre. Indem aber der BGH die Zession an den Inkassodienstleister als wirksam ansah, hier also der Kläger nur durch eine Rückabtretung den Anspruch selbst (wieder) geltend machen konnte, traf ihn die Rechtskrafterstreckung aus dem Vorurteil, der durch die Rückabtretung Rechtnachfolger des Inkassodienstleisters wurde und sich in dem rechtkräftigen Vorurteil kein Vorbehalt befand, welches eine neue Klage ermöglicht hätte. Damit zeigt das Urteil auf, dass Abtretungen an Dritte, wie sie auch häufig vorgenommen werden, um einen Zeugen zu generieren (damit dieser nicht Partei ist und damit als Zeuge ausscheidet), rechtliche Unsicherheiten bei einer Klageabweisung beinhalten, die auf die Zession im Hinblick auf eine Aktivlegitimation zurückgehen.


Kfz-Haftpflichtversicherung: Rechtskrafterstreckung eines klageabweisenden Urteils wegen fehlender Aktivlegitimation

BGH, Urteil vom 27.04.2021 - VI ZR 883/20 -

Der Schwiegersohn der Beklagte parkte im September 2015 deren Fahrzeug VW Touran am Fahrbahnrand in einer Kurve und öffnete die Fahrertür. Der Ehemann der Klägerin fuhr mir einen Pkw Hyundai an dem Fahrzeug der Beklagten unter Inanspruchnahme der Gegenfahrspur vorbei und kollidierte mit einem entgegenkommenden Motorradfahrer. Zunächst erhob die Klägerin Klage gegen den Schwiegersohn der Beklagten und dem Haftpflichtversicherer (Pflichtversicherer) des VW Touran. Das Amtsgericht wies die Klage ab, da die Klägerin ihr Eigentum an dem VW Touran trotz Bestreitens der dortigen Beklagten nicht konkret dargelegt habe(fehlende Aktivlegitimation). Die gegen das Urteil eingelegte Berufung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Nunmehr erhob die Klägerin Klage gegen die hiesige Klägerin. Die Klage wurde vom Amtsgericht unter Verweis auf § 124 VVG als unzulässig abgewiesen, die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Die zugelassene Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg.

 

§ 124 Abs. 1 VVG lautet:

 

„Soweit durch rechtskräftiges Urteil festgestellt wird, dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht, wirkt das Urteil, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherungsnehmers, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherungsnehmer ergeht, auch zugunsten des Versicherers.“

 

Der BGH verweist darauf, dass die Beklagte von der Rechtskrafterstreckung des Urteils im vorangegangenen Verfahren persönlich erfasst sei. Würde ein Urteil zwischen einem Dritten und dem Versicherer ergehen, demzufolge dem Dritten ein Anspruch gegen den Versicherer nicht zustehe, würde sich das Urteil auch auf den Anspruch des Dritten gegen den Versicherungsnehmer erstrecken. Über den Wortlaut hinaus würde sich die Bindungswirkung auch auf das Verhältnis des mitversicherten Fahrers erstrecken. Voraussetzung sei stets, dass der Dritte einen Direktanspruch gegen den Versicherer gem. § 115 Abs. 1 VVG habe, § 124 Abs. 3 VVG.

 

Die Direktklage gegen den Versicherer könne auf einer Haftungsverantwortlichkeit des Halters oder des Fahrers oder von beiden beruhen. Der Geschädigte sei daher nach einer rechtskräftigen Abweisung seiner Klage gegen den Halter nunmehr den Fahrer zu verklagen oder auch nur in Bezug auf dessen Haftung den Versicherer. Der Versicherer könne in diesem Fall wegen einer Haftung des Fahrers aber nicht mehr in Anspruch genommen werden, da durch die rechtskräftige Klageabweisung diesem gegenüber darüber auch im Verhältnis zum Versicherer bindend entschieden worden sei. Würde – wie hier – die Klage gegen den Versicherer abgewiesen, sei denn eine Klage gegen den Halter ausgeschlossen, wenn der Versicherer wegen oder auch wegen der Halterhaftung in Anspruch genommen worden war. Dies entspräche dem Zweck des § 124 Abs. 1 VVG, wonach der Versicherer nicht trotz eines für ihn günstigen Urteils (hier: keine Einstandspflicht, auch nicht gegenüber dem Halter) im Falle der Verurteilung seines versicherten/Versicherungsnehmers aus der Zahlpflicht aus dem versicherungsvertraglichen Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen werden könne.

 

 

Es könne auch nicht erfolgreich eingewandt werden, die Klageabweisung sei nur aus formellen Gründen erfolgt. § 124 Abs. 1 VVG würde auf ein Urteil abstellen, demzufolge ein geltend gemachter Schadensersatzanspruch der klagenden Partei nicht zustünde. Werden die Schadensersatzansprüche im ersten Prozess wie auch im zweiten Prozess aus dem gleichen Sachverhalt hergeleitet, käme es nicht darauf an, aus welchen Gründen die Abweisung erfolgte, hier also wegen fehlender Aktivlegitimation.  Entscheidend sei, dass die Abweisung aus sachlichen und nicht aus prozessualen Gründen erfolgte. Die Abweisung wegen fehlender Aktivlegitimation sei ein sachlicher Grund.